Vorwort
Vorwort
Warum dieses Buch?
Warum keine getrennte Neuauflage des autobiographischen Buches von Florin Müller mit dem Titel „Die Reise zum leuchtenden Stern oder Ein Astronaut im Weltall“?
Warum eine Kombination aus Neuauflage und zweitem Buch, das sich vorrangig mit den Ereignissen ab 2016 auseinandersetzt, folglich ein Gesamtband über Florin Müllers Leben von der Geburt an bis heute? Aufgrund zahlreicher Gespräche im Anschluss an Lesungen sowie Leserzuschriften war festzustellen, dass sich häufig Fragen an Florin und seine Adoptivmutter ergeben hatten. Es handelte sich um Fragen, die im ersten Buch nicht beantwortet worden waren, Fragen wie beispielsweise folgende:
„Was sind Ihre Pläne?“
„Belasten Sie Erinnerungen noch sehr oder hat dies nachgelassen?“
„Wie ordnen Sie Ihr heutiges Leben ein?“
„Glauben Sie, dass die Menschen an Sie glauben?“
„Wie empfinden Sie Ihr Leben seitdem Sie bekannter geworden sind?“
„Was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft?“
„Wie erleben Sie, Frau Müller, Ihre heutige Situation?“
Da die Antworten mit den frühen Lebenserfahrungen von Florin Müller und seinen Adoptiveltern untrennbar verschmolzen sind, kam der junge Autor zu dem Entschluss, seine Geschichte von 1994 bis heute in einem Buch zu verschmelzen, sodass auch die Leser, die das frühere Buch nicht kennen, seine Texte besser verstehen, da sie sie besser einordnen können. Hinzu kommt, dass das Aufschreiben seiner Lebensgeschichte für Florin Müller gleichzeitig immer wieder eine Therapie ist, eine Chance, das Erlebte noch einmal passieren zu lassen und es damit wieder ein Stück mehr verarbeiten zu können.
Für die Leser, denen der junge Autor noch nicht bekannt ist, möchte ich an dieser Stelle kurz erwähnen, dass er, der seine ersten vier Lebensjahre in einem rumänischen Waisenhaus der 90er Jahre verbracht hatte, bevor er von einem deutschen Ehepaar adoptiert wurde, nicht über Lautsprache verfügt und zudem als Folge der frühkindlichen Vernachlässigung in dem Heim unter einer schweren Traumatisierung sowie einer ausgeprägten Form von Autismus leidet. Erst im Alter von 17 Jahren erhielt er die Möglichkeit, sich über das Schreiben am Computer auszudrücken und auf diese Weise, ursprünglich eingeschult in eine Sonderschule für geistige Entwicklung, auch einen Regelschulabschluss an einer Fernschule nachholen konnte, und zwar mit der Traumnote „sehr gut“.
Seitdem wird er regelmäßig als Referent zu Kongressen, Tagungen und Lesungen geladen. Im Verlauf des Buches werden Erfahrungen und Empfindungen der Adoptivmutter Birgit Müller parallel zu denen des jungen Autors gesetzt, sodass der Leser sowohl die Innensicht von Florin Müller als auch die Sichtweise seiner Adoptivmutter kennenlernt. Zur besseren Unterscheidung sind ihre Gedanken und Erfahrungen in einem Blauton gehalten.
Ferner war es Florin Müller wichtig, ein interaktives Kapitel anzufügen, in dem der Leser seine eigenen Lösungen verschiedener Aufgaben mit denen des Autors vergleichen kann und dessen Probleme und Schwierigkeiten dadurch eventuell besser verstehen lernt.
Die größte Bereicherung an der Zusammenarbeit mit Florin Müller und seinen Adoptiveltern ist die Erkenntnis, dass man auch in scheinbar ausweglosen Situationen Mut und Hoffnung niemals aufgeben und an ein gutes Ende glauben soll.
Hanne Kloth Erziehungswissenschaftlerin, Zusammenarbeit mit Florin Müller seit September 2011
Prolog
Die Bürde des Seins
Jeder Tag Schmerzen erzeugend bejagt durch Hindernisse dringend Hilfe den Weg nur deutend
Leuchten versucht Gejagten zu ermuntern findet nur Überdruss und Vereinsamung Wert des Seins bestimmt durch Macht
Acht durch Macht Verachtung durch Vermachtung Vermachtung raubt Menschheit
Menschheit unterschieden in Demut und Hochmut gebrochen und frei arm und reich
folglich Bürde des Seins ungleich der Richtigkeit nicht verordnet folglich Bürde allein den Gebürdeten
Florin Müller (2020)
Prolog
Es ist ein heißer Augustsonntag. Der Wetterdienst hat Temperaturen bis zu 40 Grad vorausgesagt, sodass die Menschen vor der Hitze der Stadt flüchten und zu dem nahe gelegenen Badesee strömen.
Auch er ist mit seinen Eltern dorthin gefahren. In Verlassenheit geboren, hatten sie ihn, damals in einem fernen Land, gefunden und mitgenommen. Gütige Menschen. Er weiß es.
Trotz der Hitze steht er fröstelnd nahe einem Baum. Seine eiskalten Hände führen immer wieder und wieder den leeren Becher an seine Lippen. Über das Spüren eines behutsamen Gefühls der Berührung erfährt er Beglückung, verstärkt durch ein beständiges Wippen seines schmächtigen Körpers. Ab und zu stößt er Laute aus. Markerschütternde Laute. Menschlich und doch menschenfremd.
Je höher die Sonne am Himmel steigt, je gnadenloser sie hinunterbrennt, umso mehr Badegäste finden sich ein. Es ist ein Meer an Menschen, dicht beieinander liegend. Nur um ihn ist noch Platz.
Kälte umfängt ihn, spinnt ihn ein in einen Kokon. Es ist ihm vertraut. Er ist daran gewöhnt. Nur nicht verzagen. Weh tut es, aber er kann es nicht ändern.
Er weiß es.
In gewissem Abstand lassen sich ein paar mutige Gäste nieder. Nur nicht zu nah, damit das unangenehme Gefühl des Unbehagens, das in ihnen hochkriecht, nicht zu stark wird. Mit gesenktem Blick, aber dennoch ihn im Auge behaltend, flüstern sie miteinander.
Er erahnt ihre Worte, denn er kennt sie. Ihre Körperhaltung, ihre Gestik, ihre Mimik, alles Zeichen für ihn, Zeichen, die ihm zeigen, wie stark Misstrauen und sogar Angst vor ihm Besitz ergreifen von anderen: Das kann doch kein friedlicher Mensch sein. Was ist es? Was hat es hier unter uns zu suchen? Hier gehört es nicht hin. Es ist eine Gefahr für uns. Kinder kommt her, geht nicht dahin!
Dunkle Wolken ziehen am Himmel auf.
Da setzt auch schon der Regen ein. Vielleicht rollt ein Gewitter an. Eine vermeintliche Gefahr! Sicher ist es nicht. Lieber Vorsicht. Selbstschutz ist oberstes Gebot. Denn wer weiß es?
Schnell ordnen die Badegäste ihre Taschen und laufen zurück zu ihren Autos. Die Wiese ist leer. Nur der Regen prasselt auf das Grün und lässt das Gras duften. Nun ist er alleine.
Er steht immer noch am Baum. Ein Lächeln breitet sich über sein hageres Gesicht. Der Regen auf seiner Haut haucht ihm neues Leben ein. Alleine, beobachtet nur von den behütenden Blicken seiner Eltern, verschwindet langsam die Kälte aus seinem Körper. Seine Hände legen den Becher ab, das Wippen wird zu einem gezielten Gang und jauchzend läuft er zum See. Er springt in das Wasser, das ihn wohlig umschließt. Er taucht ein in eine andere Welt, eine Welt, die ihn umarmt, die ihn einbezieht in ihr Leben.
Die dunklen Wolken sind weggezogen. Der Regen hat aufgehört. Die Sonne umarmt mit Helle und Wärme. Das Gras duftet frisch. Ruhe umfängt den See und die Wiesen, spendet Leben. Auch ihm. Er spürt es.
Er weiß es.
Traumatisiertes Ich
Traumatisiertes Ich
ruhelos viel Schrecken ohne Öffnen im Innern gefesselt beherrscht machtlos
Florin Müller (2020)
Florin, ein schöner Name, ein Name, der von Flora kommt, blumig klingt und ein Jubeln, ein Gefühl von blühendem Geliebtwerden und einem charismatischen Leben vermittelt.
Ich glaube, meine Eltern wählten diesen Namen, um mir dadurch jederzeit und zwar auf ewig ihre große Liebe zu mir zu verdeutlichen, auf dass ich es nie vergesse …
… aber … Rumänien Anfang der 90er Jahre, kurz nach dem gewaltsamen Tod des Diktators Ceausescu, alles kam anders, denn …
… es war kein glücklicher Umstand, der mein Dasein richtungsorientiert der Welt zukommen ließ. Zum Glück gehört Glück, und Glück war nicht mein diensthabender Begleiter, als ich am 2. Dezember 1994 fern eines Gedankens an glückliche Zukunft geboren wurde. Es war vielmehr ein Unglück, solch ein gebrochenes, erdfeindliches Wesen in solch eine erdfeindliche Welt zu entlassen, erdfeindlich, weil sie herzlos und erbarmungslos war, denn …
… unter mir und nicht nur unter mir hatte sich die Hölle aufgetan, suchend nach Menschenseelen. Gierig nutzten Gewaltwesen jedes Leid, um sich Sklaven durch die Mütter der Armut schaffen zu lassen.
Nur Sklaven, keine Menschen, denn zu guten Menschenmachern gehört Liebe. Kraft und Macht allein genügen nicht, da Herzgefühl nur gefühlt erlebt richtig zu erlernen ist.
Menschen kunstvoll formen kann man nur mit Hilfe von reinem Lebensglück. Gewaltherrscher jedoch machten liebe Eltern zu mutlosen, jederzeit um Gnade betenden Wesen. Grausamkeit und Machtwahn ließen keinen Raum entstehen, in dem ordentliches Leben geschaffen oder gerettet werden konnte.
Nur Sklaven, keine Menschen.
Somit entließen unglückliche Umstände schutzlos irrende kindliche Körper in eine Welt, regiert von Menschen, gekennzeichnet durch Brutalität. Mir fällt es schwer, diese als Menschen zu bezeichnen. Es waren vielmehr Unmenschen, Ungetüme, besessen von Machtwahn, Machtwahn über ihnen ausgelieferte menschliche Wesen, nur Sklaventreiber und keine Menschenhüter, denn Hüten beinhaltet Horten, und Horten beinhaltet Umsorgen, und das traf nicht zu.
Nur schwach ist meine Erinnerung an die jegliche Form von Liebe fernhaltende Zeit. Wenn ich dieses Buch schreibe, tauchen plötzlich Bruchstücke, Erinnerungsfetzen vor meinem inneren Auge auf, nicht alle kann ich einfangen, sie verschwinden so schnell wie sie kamen. Einige jedoch versuche ich zu erhaschen und für Euch, meine Leser, niederzuschreiben.
Bei Eurer gedanklichen Vorstellung meiner ersten Jahre, mag es wohl vorrangig Euer Geist sein, der Euch eine Vermutung erlaubt, ein Geist, aufbauend auf dem Wissen, unter welchen entsetzlichen Umständen Kinder in meinem Geburtsland zum Teil auf Durchbruch zum Glück verzweifelt hoffen.
Fetesti: 2. Dezember 1994
Zu schwach zum Freuen, zu einsam für neues Leben, in Mutlosigkeit geboren, mit Verunsicherung konfrontiert.
Ohne Fürsorge, ohne Ziel, kein Leben, nur Da-Sein
nur Sklave, kein Mensch
Florin Müller (2018)
Ohne liebevollen Kontakt ersticken Leben und Glück zusammen mit dem Interesse an einem richtigen Erleben der Welt und der Menschen schon in ihrem Ursprung. Sie vertrocknen, kaum dass sie entsprungen sind, schon in ihrer Quelle, sodass ein Fließen, sanft und behutsam sich entwickelnd von einem zarten Bächlein zu einem imposanten, lebhaften Strom nicht mehr möglich wird.
Vor dem Ertragenmüssen ruheloser finsterer Gefühle bewahrte mich niemand. Nachdem mein Vater mich im Waisenhaus abgegeben hatte, ersetzte stilles Erdulden fortan Ruhe und Frieden durch Obhut aus Liebe.
Eine Zukunft dort selbst nur vage zu vermuten, wäre Hohn gegenüber den Tatsachen gewesen.
Hinter tristen Mauern, unter kerkerhaften Zuständen, fror ich erbärmlich, einer nackten Ratte gleich.
Ab diesem Tag fand ich mich mit anderen einsamen Rattenkindern zueinander, um gemeinsam ein bestmögliches Leben ohne Leben zu meistern.
Wir waren allesamt Rattenkinder, da zu nackt, um ohne Mutter und ohne die schützende Wärme des Nestes zu überleben. Nicht andere Tierkinder, sondern Rattenkinder, da wir viele Menschen durch unseren Anblick erschreckten, denn wir waren Ungeziefer, Ratten eben, die niemand bei sich haben möchte. Wesen, die im Unrat geboren worden waren, aus dem Unrat gekommen sind und die folglich besser vergiftet würden.
„Man hätte sie gleich nach der Geburt töten müssen … Wir haben doch gar keine andere Möglichkeit als sie sterben zu lassen.“ (aus Spiegel TV Cighid). Das sagte eine der Wächterinnen damals im Interview zu einem Film über eines unserer Kinderheime. Erschreckend finde ich aber, dass Menschen überall auf der Welt so herzlose Aussagen treffen, vernichtende Aussagen über Menschen, die sie nicht als Menschen sondern nur als Wesen sehen, die dieser Welt, einer schönen, allein von ihnen zu belebenden Welt, eigentlich gar nicht angehören dürften, die man besser wegsperren oder sogar dem Tode überlassen sollte, da sie nicht hineinpassen in die Welt, in die Welt ihrer Augen, einer Welt, die heil ist und nicht von Ungeziefer, von Ratten mit Krankheiten und Verderben infiziert werden darf. Ein schrecklicher Gedanke, der mich mit tiefer Trauer erfasst.
Damals in dem Heim zeigte sich keiner, um meine Tränen zu trocknen, sodass sie folglich wie auch die Tränen der anderen Rattenkinder festfroren, erstarrten und fest klebend unsere Gesichter vom Lachen fernhielten, sodass unser einstiges, wenn auch nur zaghaftes Lachen nun dauerhaft nicht mehr erschallen konnte. Es waren Tränen, die nie versiegten, Tränen, die Körper äußerlich gefangen hielten und innerlich aushöhlten.
Das Gefühl, das ich damals hatte, das Gefühl des Verlassenseins, der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, überrollt mich auch heute immer noch und lässt mich in einem Aufschrei, der sich nicht nur innerlich vollzieht, sondern der sich auch in äußeren Aktionen gegen mich selbst, aber auch gegen andere gerichtet, widerspiegelt, schreckliche Dinge machen.
Kinder lagen da im Schmutz ihrer Betten, von vagen Träumen der Nacht noch lautlos beglückt als der Tag begann und damit das Grauen durch Unmenschen, die jegliches Herz gegen jede Form von Groll und Brutalität getauscht hatten.
Keine Liebesbeweise empfangend, keine Helle des neuen Morgens spürend und jeder Umarmung entzogen, gehorchten frierende Körper ohne Habe des Jas zum Leben nur den Herrschern über Tod und Sein.