In einem kleinen Königreich lebten einmal ein König und eine Königin, die wünschten sich so sehr ein Kind. Nach vielen Jahren endlich wurde ihnen ein kleiner Prinz geboren. Überglücklich feierten sie die Geburt mit lauten Salutschüssen aus hundert Kanonen. Im Nachbarland geschah zurzeit das Gleiche, auch hier war eine Prinzessin zur Welt gekommen. Und auch hier wurde die Ankunft der ersehnten Thronfolgerin mit Salutschüssen aus hundert Kanonen gefeiert. Nun hörten die Nachbarn erstaunt von der gleichzeitigen Geburt, die auch noch auf den Tag und die Stunde genau geschehen war, und beschlossen, zusammen zu feiern. Eine ganze Woche lang wurden die Grenzen geöffnet und viele Feste gefeiert. Da sich die Königsfamilien so gut verstanden, wurde beschlossen, die beiden Königskinder gemeinsam aufwachsen zu lassen. Und so geschah es.
Die beiden Kinder besuchten zusammen einen Kindergarten und spielten fröhlich mit Kindern aus dem Volk. Zwar erhielten sie auch königlichen Unterricht, denn sie sollten ja einmal zwei Königreiche als gute Herrscher führen, aber sie wuchsen ohne Dünkel auf. Alle waren zufrieden.
Nun wuchsen die beiden heran. Sie verstanden sich, sie mochten sich und eines Tages liebten sie sich und beschlossen, zu heiraten.
„Ich werde einen Ball für dich geben, Liebste“, versprach der junge Prinz, „und dort werde ich um deine Hand anhalten.“ Dann erzählte er seinen Eltern davon, die sich sehr freuten, denn sie mochten die Prinzessin sehr. Nun gab es aber in ihrem Königreich einen Diener, der sein Leben lang schon sehr neidisch auf das Glück der beiden Königshäuser geschaut hatte und dieser flüsterte nun dem König ins Ohr:
„Majestät, so einfach geht das nicht. Die Prinzessin muss einige Bedingungen erfüllen und ein paar Prüfungen bestehen, bevor sie Königin eures Reiches werden kann. So war es immer Brauch.“ Der König lachte nur, aber um die Dienerschaft zu befrieden verfügt er, dass die zukünftige Gemahlin des Prinzen an ihrem Verlobungstag ein Kleid tragen müsse, das keine Flecken und keine Risse aufweisen dürfe.
‚Das wird leicht zu bewerkstelligen sein‘, dachte er sich und bereitete mit seiner Königin den Ball vor. Am Abend des Balles, als die junge Prinzessin mit ihrer Kutsche vorgefahren kam, blieb sie aber in einer Speiche des Rades hängen – und zerriss ihr schönes Ballkleid. Sie wusste von der Verfügung und brach in Tränen aus.
„Wo bekomme ich jetzt ein neues Kleid her?“, rief sie, doch die Lakaien sahen sie nur traurig an. Da kam ein Mädchen daher, das einen Korb voller frischer Wäsche trug. Es sah die Prinzessin weinen und ging zu ihr. Was denn los sei, wollte es wissen und die Königstochter erzählte der Schlossangestellten von ihrem Unglück. „Wenn ich in diesem zerrissenen Kleid zum Ball gehe, wird mein Prinz nicht um meine Hand anhalten können. So hat es der König verfügt. Und sein Wort ist Gesetz, das noch nicht einmal er wieder zurücknehmen kann.“ Und wieder kullerten dicke Tränen über ihr Gesicht.
„Liebe Prinzessin, ein Ballkleid habe ich nicht, aber ich kann dir mein Kleid geben. Meine Mutter hat es mir geschneidert und es ist ganz neu und ohne Risse. Es ist nur nicht so schön wie dein Ballkleid.“
Die Prinzessin lachte nun unter ihren Tränen, nickte, und beide Mädchen tauschten ihre Kleider. In dem einfachen Wäscherinnenkleid betrat die Königstochter nun den prächtig geschmückten Ballsaal. Der Prinz eilte ihr entgegen und sah nur ihre strahlenden Augen. Die Lichter im Ballsaal spiegelten sich in ihrem Haar und ließen das einfach weiße Leinenkleid in den Regenbogenfarben leuchten. Er sank auf die Knie und bat um ihre Hand. Als sie ihn küsste, brachen alle Gäste in Jubel aus und es wurde Verlobung gefeiert.
Einige Wochen später gab es eine große Hochzeit und der junge Bräutigam bestand darauf, dass seine geliebte Braut dazu das einfache Leinenkleid trug. Das junge Paar wurde sehr glücklich, der böse Diener aus dem Land gejagt, beide Königreiche vereinigt und das kleine Wäschereimädchen … ja, das wurde das Kindermädchen der kleinen Königskinder, die im Laufe der nächsten Jahre geboren wurden. Und wisst ihr was? Jeden Abend musste sie den Kleinen die Geschichte vom zerrissenen Ballkleid erzählen, denn ohne diese Erzählung mochten die Kinder nicht einschlafen.
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Alle kleinen Märchenwesen atmeten auf, das war ja noch mal gutgegangen. Auch Linda beglückwünschte die Prinzessin zu ihrem Glück. Diese nahm gerne die Hand des Kindes, setzte sich auf und alle konnten das hübsche weiße Leinenkleid der Wäscherin bewundern.